Aktuelles

Matthias Riemann, Pastor
Mitglied der Sprechergruppe des Arbeitskreises Kirche Künste Kultur in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers


Sehr verehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie heute Mittag zu 20-30 Minuten Kunst in der Kirche1. Anlaß ist das Bild von Georg Baselitz, Tanz ums Kreuz, das durch seine Platzierung in der Luttrumer St. Annen Kirche zu erheblichen Auseinandersetzungen in Gemeinde und Landeskirche geführt hat. Paßt es da hin? Ist es nicht zu groß? Provoziert es nicht zuviel? Wäre ein bisschen Provokation nicht ausreichend? Muß der Christus denn unbedingt auf dem Kopf stehen? Hätte er nicht ein wenig realistischere Kleidung anhaben können? Warum sind seine Augen geschlossen? Wie soll man die Farben verstehen? Über diese Fragen ist in Luttrum lange nachgedacht worden und jetzt hängt das Bild hier in der Neustädter Kirche an einer anderen Stelle, um das Bild möglichst unanhängig vom Ort seines kontroversen Plazierens diskutieren zu können.

Ich frage mich: geht das überhaupt? Das Spannende an der Auseinandersetzung in dem Gespräch von moderner Kunst und Kirche ist ja gerade, dass der Ort, indem moderne Kunst in Kirchen gezeigt wird, eben die Kirche, nicht so ohne weiteres hinter dem jeweils gezeigten Bild zurückbleibt. Der Raum fordert, der Raum formuliert Ansprüche, der Raum erhebt Traditionen. Das Museum hat da eine andere Konzeption. Museen sind großflächig weiß gestrichen, damit die Wand, das Ambiente, der Raum, das Äußere möglichst ganz hinter das Kunstwerk zurücktritt. In der Kirche geht das nicht. In Luttrum nicht und auch hier nicht. Von daher hat es schon seine Berechtigung, vom Bild "Tanz ums Kreuz" im Zusammenhang mit Luttrum zu sprechen. Auf der anderen Seite haben die Auseinandersetzungen in Luttrum um die Platzierung dieses Bildes häufig genug den Eindruck erweckt, als ginge es grundsätzlich darum, für oder gegen zeitgenössische Kunst zu votieren.

Die Hängung an einem anderen Ort mag nun bewirken, in ein vertiefendes Nachdenken über gerade dieses Bild einzutreten.

Aber jetzt zu dem Bild.
Das Bild von Baselitz rückt eine Verkehrung des christlichen Kreuzigungsdogmas vor Augen. Ich frage im Sinne der Bibel: Sehen wir unser Leben sowieso nur verkehrt herum richtig? Ist der erste Blick nicht sowieso illusionär und kommt es nicht auf den zweiten Blick an, der die Dinge verdreht betrachtet? Das Untere nach oben wendet? Das Verachtete erhaben sieht? Das Gefallene aufrecht? Der Erste wird der Letzte sein und der Letzte der Erste. Der Schwache wird mächtig sein und der Mächtige schwach.
Der Tote wird lebendig sein, heißt es mit Blick auf Ostern wie ebenso im. Blick auf die Geschichte von Lazarus und der Schwiegertochter des Jairus. Im Grunde genommen ist das Neue Testament als eine Umkehrung religiöser Gewohnheiten zu lesen: der Mensch ist nicht um des Sabbats willen da, sondern der Sabbat um des Menschenwillen.

Die bedeutendste Umkehrung geschieht Weihnachten: Gott wird Mensch. Inkarnation als Verkehrung religiöser Richtigkeiten. In Theologie und Kirche wehren sich die Menschen in der Regel heftig, wenn sie auf Formen stoßen, die den Bedeutungsgehalt des Christentums auf den Kopf stellen, will sagen, verächtlich machen, der Lächerlichkeit preisgeben - ich denke an Witze, an RTL-Samstagnacht etc. Es gibt daneben aber ein verbreitetes Unverständnis, wenn eine ins Bild gerückte Verkehrung gerade den zentralen Gehalt des Christentums besonders betonen möchte. Das Bild von Georg Baselitz - als ein Bild unter mehreren, die sich bewusst religiöser Motive bedienen - vermag hier ein verändertes, gegen den Strich gezogenes Sehen einzuüben.

Die Schwierigkeiten mit diesem Bild rühren meiner Meinung nach daher, dass es sich nicht entscheiden kann, realistisch oder unrealistisch zu bleiben. Denn dieses Bild ist ja durchausrealistisch.
Es gibt altkirchliche Aufzeichnungen, in denen Märtyrer mit dem Kopf nach unten gekreuzigt wurden. Eine besonders schmerzhafte und brutale Art der Hinrichtung. Das Blut schießt einem förmlich in den Kopf. Der Kopf scheint zu platzen. Der Gekreuzigte wir realistisch gezeigt, mit Armen und Beinen, mit Gesichtsmerkmalen. Die Arme ausgestreckt, festgehalten am Kreuz. Kopfüber.

Ich weiß natürlich, dass Georg Baselitz seit Ende der sechziger Jahre alle seine Bilder auf dem Kopf stehend malt (wenn von seinen neuen Bildern einmal abgesehen wird). Ein Stil- und Charaktermittel in seinem künstlerischen Ausdruck. (wenngleich "nichts falscher wäre, als in dieser Umkehrung der Motive das Wesentliche an der Malerei Baselitz' erkennen zu wollen" Wieland Schmied).

Wenn ich dies hier themen- und bildimmanent aber in Beziehung setze, folge ich dem Augenschein. Und da gibt es dann noch mehr zu entdecken. Die - wenn man so will unrealistische - Farbigkeit, die Fröhlichkeit und Heiterkeit des Farbaufstrichs (hat nicht Karl Barth so des Christen Gemütszustand beschrieben?), die übermalten Flächen des Hintergrunds, die Spannung zwischen der realistischen Darstellung und dem Interesse des Künstlers an kunstimmanenten Fragen, nach Farben, Fläche, Formen. Die Spannung, die sich ergibt, wenn man entdeckt, dass das Bild so realistisch gar nicht ist. Es ist eben nur ein Bild. Wie jedes andere noch so realistische Bild auch nur ein Bild ist und nicht die Sache als solche ist.

Das Bild von Baselitz ist nicht der Gekreuzigte selbst. Jedes andere Bild oder auch jede andere Skulptur vom Gekreuzigten ist der Gekreuzigte nicht selbst. Das ist auch nicht bei dem Cruzifix der Fall, das in der Altarrückwand in Luttrum bisher vor grauer Pappe hängend den Eindruck eines Billigeinkaufes in einem Devotionalienhandel nicht verbergen kann. Aber dass das Bild "Tanz ums Kreuz" mit dem Gekreuzigten wiederum gar nichts zu tun hätte, eben nur ein Bild sei und als Sujet "der gekreuzigte Christus" findet sich sowohl im verfremdeten Titel wie in der konkret sichtbaren Abbildung. Das Interesse von Baselitz scheint so in beidem zu liegen: im konkret verwendeten Motiv wie in der Auflösung des Motivs, in der realistischen Darstellung wie in ihrer Abstraktion, in der Beziehung auf ein gemaltes Objekt wie in der Auflösung des Objektes durch, wie Wieland Schmied formuliert, eine "Spiritualisierung der Bildfläche".

Was passiert nun, wenn ein solches Bild zum Altarbild gemacht wird? Grundsätzlich gilt: Gegenwartsnahe Kunst will Distanz begreifen, nicht in erster Linie Nähe schaffen.Die Gemeinde muß mit dem Kreuz, mit der Geschichte des Gekreuzigten umgehen. Im Kreuz konzentriert sich das Hässliche und Schreckliche dieser Welt. Wird es in den Gottesdienst genommen, wird es zum Mittelpunkt der gottesdienstlichen Handlung. Das christliche Kreuz wandelt leidende Distanz in die Nähe eines mitleidenden Gottes. Das Leiden, das Schmerzvolle, letztlich der Tod werden annehmbar gemacht, man könnte auch sagen, ergreifend, verschönt. Das Leiden verlangt im Raum der Kirche eine gewisse Erbaulichkeit. Das radikal Hässliche, Anklagende oder provozierend Schreckliche ist dagegen im kultischen Alltagsleben mitunter schwer zu verkraften. "Kunst ist anders als unsere Alltags- und Gebrauchsprodukte, sie ist auch immer anders als das Elend, unter dem wir leiden" (Manfred Josuttis). Sie drückt eine zu begreifende Distanz aus. Dabei müsste eigentlich eine christliche Gemeinde Verständnis für das Ins-Auge-Springen des Verzerrten und Zerrissenen haben, singt sie doch vom Schmerzensmann und lässt sich auf die eigenen ungelösten Konflikte in aller Regel ansprechen. Offenbar ist es aber ein Unterschied, sich darauf ansprechen zu lassen, oder es vor Augen zu haben als eine Beschreibung einer unerlösten Gegenwart.

Zum anderen kann ich mir gut vorstellen, dass die Irritationen in der Aufnahme dieses Altarbildes in der konkreten Gemeinde auch etwas mit dem Doppelcharakter des Bildes zu tun haben, mit der Irritation, die das Bild selber auslöst: konkrete Darstellung und Auflösung des Konkreten in einem zu sein. Dabei kann gerade dies ein sehr spannender religiöser und theologisch zu interpretierender Vorgang sein-Transzendenz erschließt sich auch über konkrete Erfahrungsgehalte, Spiritualität und mystische Erlebnisse haben gerade mit der Aufhebung der Dinge zu tun, die direkt vor Augen sind. Theologisch gesprochen: Gottes Verheißungen sind auch immer mehr als das, was vor Augen liegt. Den Glaubenden ist so auch immer mehr versprochen als die konkrete Abbildung und Wiederholung dessen, was an Konkretion ihr Leben ausmacht.

Das Altarbild "Tanz ums Kreuz" nun drückt allein über seine Platzierung eine Verhältnisbestimmung zur Religion aus. Es wird mit den Augen derer gesehen, die an dieser Stelle auf das Bild des Gekreuzigten zu schauen gewohnt sind. Haben sie das immer wahrgenommen? Sieht man nicht manchmal genauer, wenn eben nicht die realistische Darstellung von lauter Details (gewussten und ungewussten) im Vordergrund steht,sondern die Darstellung,die einen auf der Schnittstelle von realistischer Abbildung und Abstraktion gefangen hält? "Vor diesem Bild kann man richtig meditieren" sagte bei einem Besuch des Winser Seniorenkreises in Luttrum eine ältere Frau, die auch gerne einmal Chagallfenster anschaut und sich neuen,meist figürlichen Darstellungen der biblischen_Szenerie nicht verschließt. Aber hier "kann man richtig meditieren", da wird einem "nicht vor die Nase gesetzt, was man eh schon in der Bibel gelesen hat".

Grundsätzlich gilt: Kirche ist auf Kunst im weitesten Sinn angewiesen, will sie ihre Sprache und Ausdrucksform zeit- und gegenwartsnah entwickeln. In der Kunst und der Kultur werden eigene Ausdrucksformen von Wirklichkeit geschaffen. Kunst ist als Utopie eines menschlichen Lebens in Freiheit zu begreifen. Kunst ist so gesehen ein Ereignis von Epiphanie, Schöpferkraft. In der Beschäftigung mit gegenwartsnaher Kunst hält die Kirche ihre Option auf Zeitgenossenschaft wach. Dort, wo sich Menschen in Kirche und Gemeinde auf moderne, gegenwartsnahe Kunst einlassen,werden sie überraschende Entdeckungen machen. Sie werden entdecken, dass Verdrängungen ans Licht kommen können, ohne zu sterben oder unter zugehen,Aggressivitäten ausgedrückt werden, "Tabuisiertes ins Kreuz der Erneuerung gelangen" (Manfred Josuttis) kann. "Die Präsenz von Gegenwartskunst wird Kirche und Gemeinde ermuntern, sich der permanenten Anwesenheit von zeitgenössischer religiöserErfahrung und Weltdeutung zu stellen und zu nähern" (Horst Schwebel).

Ob das Bild "Tanz ums Kreuz" von Georg Baselitz nun wiederum die Dignität hat,ins Zentrum des Gottesdienstraumes gerückt zu werden, auch in der kleinen St. Annen Kapelle platziert werden sollte; ob es als ein Ereignis von Epiphanie religiös interpretiert ins religiöse Zentrum gerückt werden sollte, wird unterschiedlich beurteilt werden und lässt sich auch nicht im Sinne einer Verordnung entscheiden.

Wenn allerdings, dann sollte es genau auf die Achse, nicht seitlich daneben, gestellt werden. Dort gehört es nicht zuletzt wegen des Sujets, wegen des Bildaufbaus und wegen der horizontal und vertikal eindeutigen Perspektive des Kreuzes hin. Wenn es dort bleibend aufgestellt werden soll, dann auch ohne die gegenwärtige Altarrückwand, die seitlich daneben zu stellen noch immer als eine Möglichkeit der Schlichtung und des Kompromisses seitens der Kirchenleitung angesehen wird. Aber das geht nicht. Es geht vor allem wegen des Raumes nicht. Der Kirchenkapellenraum verträgt keine voll gestellten Wände. -Der Gottesdienstraum verträgt auch keine uneinheitliche Inventarisierung, keinen auf Dauer gestellten Kampf, wem die größere Aufmerksamkeit denn nun geschuldet ist. Eine solche Platzierung käme der Inszenierung zweier Zentralpunkte gleich und 'belügt' die Gemeinde in ihrem Glauben an die Einheit des Glaubens, wenn ein Teil sich zur Mitte und ein anderer Teil sich nach linksseitwärts zum Bild des Gekreuzigten wenden soll. Der Gottesdienstraum verträgt insofern keine 'Lüge'.

Sicher: Die Gemeinde kommt wegen des Gottesdienstes, nicht wegen des Raumes oder wegen der Kunst dort zusammen. Und oft kann man sich nicht vorstellen, wie ein Kunstwerk sich in den gottesdienstlichen Handlungsrahmen einpasst, wie es sich jede Woche wieder anschauen lässt.

Solche Vorgaben bedingen,dass auf Risiken beim Ankauf oder bei einer Platzierung eines Kunstwerkes weitgehend verzichtet wird. Der (zumindest vermutete) Zwang zur allgemeinen Zustimmung eines Kunstwerkes verstärkt hier die Zurückhaltung. Kunst ist aber ohne Risiko nicht zu haben. Das gilt auch für dasBild „Tanz ums Kreuz“.
Grundsätzlich gilt: moderne Kunst steht für Unterbrechungen,Irritationen, Sperrigkeit, auch Fremdheit. Sie fordert das Risiko geradezu heraus. Die Andersartigkeit der Kunst ist auf Veränderung aus. Sie wird oft als nicht passend zur Kirchenschönheit empfunden. Der Gemeinde „könne solche Kunst nicht zugemutet werden“,sie „überschreite die Grenzen der Kirche", sie „entziehe sich den traditionellen Maßstäben der Kirchenkunst- Schönheit, „gehöre ins Museum" und solle auf jeden Fall die Gemeinde "nicht überfordern“. Diese und ähnliche Überlegungen sind im Zusammenhang mit dem Christusbild von Georg Baselitz immer wieder zu lesen und zu hören gewesen. Die Begegnung mit moderner Kunst erfordert Übung und Geduld-auch dies ist ein Risiko.
Die Auseinandersetzungen um das hier gezeigte Bild weisen auf eine Krise der Kirche hin: die Kirche ist zum einen nicht mehr der gesellschaftlich anerkannte dominante Ort,in dem über Gegenwart und Zeitgenossenschaft gestritten und diskutiert wird. Zum anderen fehlt es innerhalb der Kirche an Instrumentarien, diese Auseinandersetzung zu führen. Es ist zu wünschen, dass solche Instrumentarien entwickelt werden. Schließlich brauchen sich Theologie und Kirche nicht zu verstecken, wenn es um Ansprüche und Wahrheitsgehalte, um das Heilige und den Kern des Lebens geht.

Mit einem provokativen Zitat zu dieser Auseinandersetzung will ich schließen. Markus Lüpertz schreibt: "Die Kunst ist etwas Göttliches. Das, was zwischen Gott und zwischen dem Menschen steht und was Gott am nächsten ist, ist ein großes Werk, ist immer große Kunst,weil sie sich über alles erhebt und auf dem Weg hin zur Ewigkeit oder zur Unendlichkeit ist. Zwischen dem Leben und Gott steht die Kunst. Damit die Leute wissen, dass es immer etwas Besseres, etwas Größeres und Schöneres gibt als das, was real ist, als das Leben, als der Tod,als die Angst, dafür gibt es die Kunst." (zitiert bei Andreas Mertin,a.a.O.)

 

1 (Für die Veröffentlichung sind einige grundsätzliche Überlegungen weggelassen und der Text überarbeitet worden. Einige Erweiterungen gegenüber dem Vortrag erschienen mir zweckdienlich. Zur Literatur weise ich auf folgende Veröffentlichungen hin: Manfred Josuttis, Erscheinungen des Heilig-Unheimlichen- Religion, Kunst und Kirche: ein ungeklärtes Verhältnis, in: LuMo10/91,45lf.; Peter Stolt, Zum Umgang mit Kunst in der Gemeinde, in: Horst Schwebel, Andreas Mertin (Hrsg.), Bilder und ihre Macht, Stuttgart 1989, 136ff.; Andreas Mertin, Schön, heilig, schrecklich?- Marginalien zur Gegenwartskunst,in:ebd.,32ff.)