Publikationen

Georg Baselitz Tanz ums Kreuzin Erinnerung an 1996

Aus der Veröffentlichung "Reden über das Bild Tanz ums Kreuz von Georg Baselitz"
Hrsg.von Klaus Hoffmann

 

Alle Reden können online oder als download der gesamten Publikation im PDF-Format gelesen werden

 

 

 

Vorbemerkung

Die hier veröffentlichten Reden zu Baselitz' Bild "Tanz ums Kreuz" wurden im April 1996 in der Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover bei den Kulturtagen des Zent­rums für Medien Kunst Kultur gehalten. Die Luttrumer An­nenkirche (damals Ev.-luth. Kirchengemeinde Grasdorf/Luttrum, Landkreis Hildesheim) hatte zugestimmt, dass das Bild erstmals au­ßerhalb Luttrums gezeigt werden konnte.

Wir hofften, damit die Diskussion um das Bild versachlichen zu können und wollten zeigen, dass die Kirche in der modernen Gesellschaft ein Erfahrungs- und Lernort sein kann, wo Fragen gestellt, Kritik ausgehalten und Offenheit akzeptiert werden kann. Wo Fremdes wahrgenommen und neue Erfahrun­gen zugelassen werden.

Diese Hoffnung hat sich, was die Situation in Luttrum betrifft, nicht erfüllt. Die Auseinan­dersetzung um das Bild ist zu einer "unendli­chen Geschichte" geworden, die eigentlich noch nicht entschieden, faktisch aber abge­schlossen scheint:

1987 nahm Pastor Dose mit Zustim­mung des Kirchenvorstandes Kontakt zu dem in der Nähe wohnenden Künstler Georg Baselitz auf.
1991 bot Baselitz der Gemeinde das Bild "Tanz ums Kreuz" als Geschenk für den Altarraum an.
1992 kam das Bild in die Kirche, pro­beweise auf die linke Seite. Die Geg­ner des Bildes reagierten mit Unterschriftssammlungen und Umpfarrungen offensiv. Kompromissvorschläge des Landesbischofs, des kirchlichen Bau­- und Kunstamtes, Informationsveran­taltungen und Diskussionen führten zu keiner Aufweichung der Fronten.

1995 bestätigte der kirchliche Rechts­hof den Beschluß des Gesamt­ Kirchenvorstandes Graßdorf/Luttrum 'das Bild anzunehmen und an der Al­tarwand zu installieren' als rechtmä­ßig.
1998 richtete das Landeskirchenamt innerhalb der Kirchengemeinde Gras­ dorf/Luttrum die 'Kapellengemeinde Luttrum mit einem eigenen Kirchen­vorstand' ein.

Das Bild 'Tanz ums Kreuz' wird seit­ dem von Baselitz aufbewahrt. Er wol­le es noch zur Verfügung halten, bot er an.

Die Auseinandersetzung um das Bild "Tanz ums Kreuz" hat exemplarische Züge der Problematik 'zeitgenössische Kunst in der Kirche'.
Wenn auch kurzfristige Ausstellungen in Kir­chen fast schon zur Gewohnheit geworden sind, bei langfristigen Installationen kommt es noch häufig zu heftigen Auseinanderset­zungen in der Gemeinde.

Und es gilt noch immer zu entdecken und zu versuchen, solche Konflikte nicht nur negativ als störend und eigentlich unerlaubt in der christlichen Gemeindeanzusehen,sondern sie positiv als produktive Anstöße zubegreifen und zugestalten.
Die Auseinandersetzung über Kunst sollte nicht nur der Abgrenzung von Gruppen von einander, sondern mehr dem Dialog miteinander dienen. Im übrigen geht es bei diesem Dialog immer auch um die eigene Religiosi­tät.

In einem Memorandum zum Verhältnis der Kirche zur "bildenden Kunst der Gegenwart", der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1993, heißt es:

"Wenn für einen kirchlichen Raum ein zeit­genössisches Kunstwerk ausgewählt wird, wird häufig dem schwächeren, anspruchslo­sen Werk der Vorzug gegeben. Oft wird künstlerischer Arbeit nur eine dekorative und illustrative Rolle zugewiesen, so dass Maß­stäbe des Gefälligen und des leicht Verständ­lichen in der Bewertung dominieren. Bilden­de Kunst von Rang ist jedoch weniger schmückendes Beiwerk, als vielmehr seismo­graphischer Hinweis auf Aspekte der Gegen­wart. Solche authentische Kunst regt an zu Reflexion und Interpretation, befruchtet den Dialog mit dem christlichen Glauben und eröffnet neue Wege zur Verkündigung und zur gottesdienstlichen Feier. Auf solche Wei­se die Kunst der Gegenwart zur Geltung zu bringen, ist weitgehend noch nicht in das Bewusstsein kirchlicher Entscheidungsträger getreten."

Zeitgenössische Künstler wie Baselitz, Hrdlitzka, Beuys, Tapies, Beacon haben sich häufig mit religiösen Motiven beschäftigt. Sie sehen sich verankert in einer Tradition der Malerei und haben sich mit der Ikonographie, den Malweisen, den Farbgebungen religiöser Bilder beschäftigt. Zunächst wollen sie, wenn sie religiöse Motive darstellen, die alten Zei­chen von allen Fremdbestimmungen und ideologischen Vereinnahmungen befreien, wollen sie wieder zu einer Form, ein Ord­nungselement, ein Aufbauprinzip machen.

Dabei kann dieser Vorgang und sein Ergebnis natürlich für den Künstler und den Betrachter wieder eine tiefere, spirituelle Dimension eröffnen und gerade in einem kirchlichen Kontext neue religiöse Erfahrungen anregen. Bilder wie dieses "Tanz ums Kreuz" sind Bil­der zum Betrachten und Nachdenken, sie können Bilder neu in uns entstehen lassen.

Baselitz befreit uns aus dem Wiederholungs­zwang, immer wieder altbekannte Motive auf immer gleiche Weise zu sehen, und er befreit sich mit diesem Kreuzigungsbild aus dem Fortsetzungszwang der alten bekannten Kreuz-Ikonographie. Er will nicht auf die geläufige Symbolik zurückgreifen und den­ noch die Realität, die Humanität und Grau­samkeit des Kreuzes wieder entdecken.

Das Kruzifix in der Kirche ist uns häufig zu bekannt, als dass es für uns erkennbar wird. Wir haben Schwierigkeiten, es uns vorzustellen - denken Sie mal an das Kruzifix in Ihrer Kirche, ob Sie eine genaue Vorstellung davon haben. Es gehört häufig mehr zur Ausstat­tung, zum Dekor, als dass es ein eigenständi­ges Gegenüber ist. Das zentrale Symbol des Christentums - das Kreuz - läuft Gefahr, zum Signet, zum Logo zu verkommen.
Baselitz ermöglicht einen anderen Blick auf das Kreuz und neue Erfahrungen damit. Die von ihm gewählte 'Umkehrung', 'Umkehr', (ein zentraler Begriff christlichen Glaubens),das skandalöse 'Auf-den-Kopf-stellen',die "verkehrte Welt" regt viele Überlegungen und Gedanken an, die im Betrachter entstehen können,gerade wenn dieses Bild in einem kirchlichen Zusammenhang zu sehen ist.

Die folgenden Reden über das "Tanz ums Kreuz" mögen Sie zur aktiven Betrachtung anregen.


Klaus Hoffmann
Ehemaliger Leiter des Zentrums für Medien Kunst Kultur