Aktuelles

Jürgen Schipper, Pastor
Mitglied der Sprechergruppe des Arbeitskreises Kirche Kunst Kultur in der Ev.-lut h.Landeskirche Hannovers


Eine Frage vorweg. Sitzt hier jemand, der das Bild noch nicht gesehen hat?
Es zeigt sich: Viele, die hierher kommen, haben ihr Bild vom Bild im Kopf, suchen im Original den Beleg, für den „Tanz ums Kreuz", wie Georg Baselitz es 1983, gerade zu hellseherisch, betitelt hat. Der Tanz, der im Dorf Luttrum begann, als er, der in der Nachbarschaft wohnt, das Bild der ev.-luth. Kirchengemeinde als Dauerleihgabe, quasi als Geschenk antrug.

Der Tanz ums Kreuz als Fanal der Empörung, der Intrigen, der losgetretenen Feindschaften und tiefen Verletzungen.
Das Bild hat für uns seine Unschuld verloren, es ist, in diese Neustädter Kirche auf Zeit evakuiert, den Augen des Betrachters preisgegeben, dem inquisitorischen Blick, der am nackten Original nachprüft, worüber er ein Urteil schon gefällt hat.

Oder können wir noch hinsehen, uns einlassen auf das, was wir erst jetzt wahrzunehmen beginnen? Zu sehen sind Farben, in großen Flächen. Eine Figur, die wie ein Gerüst das Bild aufteilt, eine Figur, die nach unten steht. Die Farben bestimmen. Sie wirken auf mich rasch gemalt; überall scheint anderes durch, die Fläche des Körpers hat Risse, als sei das Blau der Verwitterung ausgesetzt (der Hochglanz von Drucken verschönt das). Das Gesicht ist auf Augen und Mund reduziert, die Augenbleiben verschlossen durch die Grundfarben grün und blau, der Mund offen wie bei einer Maske. Der Bildraum lässt Einzelheiten tendenziell verschwinden, eine Umwelt wird nicht sichtbar.
Von Anfang an drücken die Bilder von Baselitz eine aggressive Verweigerung aus. "Hässlichkeit, Zerstören der Tradition, kein Talent, Brüche, Verletzung, Überwindung durch Disziplin, Isolation" sind Stichworte aus Werkstattgesprächen, die Wieland Schmied anführt, um das "sich an Widersprüchen entzündende und auf Widerspruch zielende" Selbstverständnis des Künstlers zu beschreiben. 1
Ein zweites: Baselitz verweigert sich seit je der Abstraktion. Er will die Gegenstände malen. Zugleich die überkommene Gegenständlichkeit nicht wiederholen. Er verkehrt sie buchstäblich. Erstellt sie auf den Kopf.

Dieser Schritt hat ihn ins öffentliche Bewusstsein katapultiert. "Die Umkehrung des Motivs im Bild gab mir die Freiheit, mich ausschließlich mit malerischen Problemen auseinanderzusetzen.“ 2
"Der Gegenstand, die Motive sind umgekehrt, nicht das Bild“ 3
Baselitz möchte seine Bilder als Bilder und nicht als Darstellung verstanden wissen.

Doch für das Publikum war es gerade umgekehrt. Es ging auch ihm eigentlich nicht um das Motiv, wohl aber um die Tatsache, dass es auf dem Kopf stand. Diese Zumutung nutzte sich nicht ab. Sie blieb die Sensation der Bilder, jenseits der Intentionen des Malers. Statt der Befreiung zu einem neuen Sehen eine kuriose Fixierung.
Und obwohl das Missverstehen sich laufend reproduzierte, gab Baselitz seinen stupenden Kunstgriff nicht preis. 4
Malerei aber ist für ihn die Auseinandersetzung mit der Materialität der Farbe. Sie ist "Stofflichkeit, Materie, Sinnlichkeit". 5
Farbe ist nicht mehr dazu da, die Darstellung einer Landschaft, einer Straße oder die Erfassung der Menschen, ihrer Gesichter und Bewegungen zu unterstützen, sondern sie ist selbst Träger von Bedeutungen.

Farben erfüllen das Bild. Es scheint nichts davor oder dahinter zu geben. Besonders seit den 80iger Jahren entstehen Arbeiten, in denen die räumliche Perspektive sich verliert und die Stofflichkeit der Farben die Struktur, den geistigen Raum der Bilder konstituieren. Oben und unten ist aufgehoben. Was erscheint, erhält den Charakter von Zeichen, Chiffren und wird mit- einander verwoben. 6

Der "Tanz ums Kreuz" von 1983 gehört dazu.Seine flächige und doch direkte Farbigkeit lässt es einfach erscheinen. Doch es ist weder einfach noch einfach schön.

In diesen Jahren tauchen auch vermehrt Bilder auf, die christlich-religiöse Motive zeigen, u.a. das Kreuzsymbol oder konkreter den Körper des Gekreuzigten. Dies aber geschieht in bewusster Distanz zu früheren Vorbildern. Zeitgenössische Künstler (z.B. Tapies,Lüpertz) wollen nicht eine neue Offenbarung mitteilen, welche sich in die christliche Ikonographie einreihen ließe.Sie möchten sich keineswegs von einer fremden, kirchlichen oder weltanschaulichen, Autorität sagen lassen,was Wahrheit ist. Sie erkennen keine äußere Instanzan. Wo sie deshalb ein Zeichen wie das Kreuz aufgreifen, erfinden sie es neu. "Man kann solche (biblischen) Geschichten und solche Bildkonstruktionen wieder erfinden,ohne den Inhalt der ersten Erfindung zu haben und weiter zu benutzen". 7

Was wird dann aus dem Kreuz und dem Gekreuzigten? "Das Kreuz ist für uns alle ein ganz vertrautes Zeichen für alles: Es kann ein Zeichen der Trauer sein, aber auch eine abstrakte Form für den Menschen. Es ist wie der Kreis,der die Spannweite vom Ball bis zur Sonne umfasst. Das Kreuz greift ins Leben und in den Tod… Mit einem Kreuz erzeugt man eine ganz bestimmte, beabsichtigte, gewollte und nachvollziehbare Stimmung.

Es ist ein Mittel,mit dem Sie sofort unter minimalem Aufwand eineAtmosphäre erzeugen können". 8

Für Antoni Tapies ist das Kreuz darüber hinaus ein Element, das unbewusst eingesetzt werden kann, aus den Tiefengeschichten nicht nur der eigenen Biographie auftaucht, und prinzipiell viel weiter reicht als der Radius einer Religion. 9

Kann dieses Kreuz noch Träger der Bedeutung sein,die uns vertraut und wichtig ist? Oder ist seine Erfindung die Negation dessen,was der Glaube zu erkennen meint und einträgt? Christus, für uns gestorben, von Gott verlassen. Der das Unerträgliche trägt. Und den Gott auferweckt hat von den Toten.
Die Freiheit des Künstlers erfüllt keinen Auftrag. Eine Freiheit, die bis zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Motiv, bis zur ironischen Nonchalance reichen kann (BeatrixNobis).

Und doch:Ein Bild ist mehr als die Summe der Reflexionen,die es auslöst. Es will nicht belehren oder bestätigen,es erscheint. Die Bildfläche erschließt sich mir nicht. Sie umfasst das,was mich verstummen macht und dazu verhilft,aufs neue hinzusehen. Auf die vergessenen Stimmen zu horchen, die laut werden, die blutigen Träume. Das Bild nimmt meine Gedanken und kann sie mir zurückgeben - verwandelt.


1 Wieland Schmied, Die WeltaufdemKopf, 1989,108
2 Wieland Schmied,a.a.O.,118
3 FriedhelmMennekes -Johannes Röhrig,Crucilix, Freiburg.1994. 12
4 Vergl. Wieland Schmied,a.a.O., 120f
5 Friedhelm Mennekes-Johannes Röhrig, a.a.O., 12
6 Wieland Schmied, a.a.O.,128
7 Baselitzin:Mennekes-Röhrig, a.a.O.,14
8 MarkusLüpertz in:Mennekes-Röhrig, a..a.O.,84
9 Ebd.,101